Die Internet-Scanner
Regionalzeitungen setzen auf Recycle-Apps
„Wir haben ein Team von Mitarbeitern und die monitoren alle möglichen Quellen: Alle Social-Media-Accounts der Spieler, Social-Media-Accounts der Vereine, die monitoren Konkurrenzmedien: die monitoren den ‚Kicker’, wenn der etwas über den BVB schreibt, die ‚Bild’. Und seit wir das jetzt machen, stellen wir fest, dass uns das Social-Media-Monitoring schon fast reicht, dass wir da eigentlich fast alles bekommen und fast alles dort ganz, ganz früh mitkriegen.“
Soziale Netzwerke haben den Journalismus verändert – im Sport, aber auch in der Politik: Medien haben ihr Privileg verloren, entscheiden zu können, was wichtig ist und was nicht. Sie sind nicht mehr der sogenannte „Gate Keeper“, also der Wächter, der Informationen verstärkt oder ignoriert. Wer etwas zu sagen hat, kann das in sozialen Netzwerken selbst tun – ein Fußballspieler ebenso wie ein Regierender.
Die Antwort der Journalisten: Sie scannen für ihr Publikum das Netz, sortieren die vielen Botschaften, prüfen ihre Echtheit, ordnen sie ein. Nachrichtenagenturen machen das schon länger, jetzt ziehen auch Lokal- und Regionalzeitungen nach. Auch dem Chefredakteur der „Rheinische Post“, Michael Bröcker, reicht es heute nicht mehr, wenn seine Journalisten nur ganz analog in der Stadt unterwegs sind:
„Wir sind zu wenig Leute für zu viele relevante Geschichten da draußen. Deswegen brauchen wir computerbasierte ‚Tools’ für unseren Redaktionsalltag, um besser zuzuhören, was Leute interessiert.“
Besser zuhören im Netz – damit das klappt, hat Bröcker eine spezielle Software lizenziert. Sie hat bislang vor allem Unternehmen geholfen, das Netz zu scannen. In der Düsseldorfer Zentrale von Vodafone schlägt das Programm etwa an, wenn sich im Netz Kritik gegen den Mobilfunkanbieter formiert – ein „Shit Storm“-Alarm.
Derselbe Algorithmus soll nun den Journalisten der „Rheinischen Post“ helfen, Neues zu entdecken. Digitalredakteur Daniel Fiene erklärt: Das Programm lernt selbständig dazu und erfasst, welche Inhalte auf Facebook und Twitter neuerdings besonders stark diskutiert werden – welche Kommentare und Bilder „viral gehen“.
„Wenn auf einmal eine Person, die bisher wenig Beachtung bekommen hat, sehr viel Beachtung bekommt, weil es zum Beispiel ein Foto von einem Unfall gibt, dann teilen das natürlich sehr viele Menschen auf einmal. Und das bekommen wir dann mit – auch wenn wir die Person bisher noch nicht so in unserem Fokus der Beobachtung hatten.“
Der Algorithmus zapft die sozialen Netzwerke über Schnittstellen an. Er durchforstet alles, was Nutzer dort öffentlich eingestellt haben und filtert nach den Wünschen der Redaktion: nach besonderen Schlüsselwörtern, nach präzisen Ortsangaben, nach der Häufigkeit der Interaktionen.
Die „Rheinische Post“ will in den kommenden Wochen jeden ihrer Journalisten mit ihrem neuen System ausstatten – mit individuellen Zugängen. Digitalredakteur Fiene berichtet: Der Chefredakteur kann dann etwa auf einen Blick sehen, wie die Inhalte seiner Redaktion im Netz diskutiert werden – und sich bei Bedarf einschalten.
„Und dann gibt es auch noch Fachansichten, die die einzelnen Fachredaktionen öffnen können, um dort zum Beispiel im Wirtschaftsbereich hier in Nordrhein-Westfalen passiert. Das ist ein Werkzeug, was wirklich jeder Lokaljournalist bei sich auf dem Smartphone, auf dem Tablet und am Computer aufrufen kann, um auch in der täglichen Arbeit dann davon profitieren zu können.“
Das alles ist ein gigantischer Aufwand. Aber braucht es ihn wirklich – brauchen Journalisten inzwischen tatsächlich die Hilfe eines Algorithmus, um ihren Job zu machen? Bei der „Rheinischen Post“ ist man davon überzeugt und investiert. Bei den „Ruhr Nachrichten“ sei man hingegen skeptisch, sagt jedenfalls Digitalchef Ostrop:
„Aus meiner Warte im Moment würde ich sagen, es braucht das nicht. Das ist übertrieben und überdimensioniert. Bei ‚Buzz09’ sehen wir gerade, dass wir es schaffen, menschlich (lacht) mit Menschen wirklich ganz, ganz viele Social-Media-Quellen zu monitoren. Und ob das eine Software besser kann? Bin ich mir noch nicht sicher.“
Ob nun händisch oder per Algorithmus: Lokalredaktionen scannen immer intensiver das Netz. Etwas unbemerkt in sozialen Netzwerken „posten“, das wird für Nutzer auch deshalb immer schwieriger.